Ein Mann in der Wüste Ägyptens wirft einen Blick hinauf zur gleißenden Sonne am Himmel. Er ist auf dem Weg von Syene nach Alexandria. Seine Mission: Nichts weniger als die Vermessung der Erde! Sein Instrument: Eben jene Sonne. Es ist das dritte Jahrhundert vor der Zeitenwende und der Mann ist griechischer Gelehrter und Philosoph, der Leiter der berühmten Bibliothek in Alexandria. Sein Name: Eratosthenes von Kyrene.
Frühjahr 2021, italienische und deutsche Schülerinnen und Schüler blicken ebenfalls gespannt zum Firmament in der Hoffnung auf einen wolkenfreien Himmel. Sie sind mit Lineal und Maßband bewaffnet, um den Umfang der Erde zu messen. Nach der gleichen Methode wie Eratosthenes knapp 2500 Jahre vorher. Die Schülerinnen und Schüler sind von der Albert-Schweitzer-Schule in Kassel und dem Liceo Scientifico Copernico in Bologna. Ihre beiden Lehrer, Jörg Steiper und Carlo Bertoni, nahmen über den Landesverband Hessen des MNU und den AIF-Regionalverband der Emilia-Romagna Kontakt auf, um gemeinsam während der Distanzunterrichtsphase ein Projekt durchzuführen. Genauer: Ihre jeweiligen Schülerinnen und Schüler wollen zusammen ein Projekt durchführen. Die Ursache für den Distanzunterricht ist dabei gleichzeitig das größte Problem: Wie geht man inmitten der schlimmsten Pandemie des 21. Jahrhunderts mit all ihren Beschränkungen beim Reisen zusammen ein internationales Projekt an?!? Die Lösung liegt in der gewählten Aufgabe. Für die Vermessung des Erdumfangs nach Eratosthenes benötigt man Schattenmessungen an weit von einender entfernt liegenden Punkten der Erde. Bologna und Kassel sind knapp 800 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt und liegt fast auf dem gleichen Längengrad. Damit sind die Bedingungen für diese Aufgabe fast ideal!
Über mehrere Wochen beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler aus beiden Nationen in gemischten Teams mit dem geschichtlichen und wissenschaftlichen Hintergründen, kommunizieren dabei online, treffen Absprachen, planen ihre Experimente und führen diese trotz aller schulischen und wetterbedingten Widrigkeiten erfolgreich durch und bestimmen den Erdumfang ähnlich genau wie ihr historisches Vorbild. Am Ende erstellt jede Gruppe einen gemeinsamen Forschungsbericht bzw. -präsentation.
Später berichten die Schülerinnen und Schüler, welche Probleme sie dabei zu bewältigen hatten. Das Spektrum reichte dabei von Sprachproblemen, über nicht eingehaltene Terminabsprachen, schlechtem Wetter in Deutschland bis hin zu der Klausurenphase in der italienischen Schule. Alle diese Probleme konnten die Schülerinnen und Schüler aber nicht aufhalten und wurden gelöst! Erstaunlicherweise wurde kaum über fachliche, mathematische oder physikalische Probleme berichtet. Diese haben die Schülerinnen und Schüler so problemlos gemeistert, dass es ihnen gar nicht auffiel. Am Ende wurde davon berichtet, wieviel Spaß das Projekt gemacht hat und die allermeisten würden sofort wieder das gleiche oder ein ähnliches Projekt angehen.